Essen ist die neue Religion

Egal welche Trendstudie man heranzieht, das Ergebnis ist einstimmig: Essen ist der neue Pop. Übertrieben? Nein, das zeigen auch Erfahrungswerte aus zahlreichen Mitarbeiterrestaurants. Und mehr noch: Essen ist Teil unserer Lebensphilosophie geworden. Christine Schäfer vom Gottfried-Duttweiler-Institut meint dazu: „Wir identifizieren uns übers Essen wie nie zuvor. Unsere Ernährung ist Ausdruck dessen, wer wir sind oder gerne sein würden. Essen funktioniert als gemeinsamer Nenner, immer mehr dient es aber auch als Differenzierungsmerkmal gegenüber anderen. Über die Art, wie wir uns ernähren, senden wir eine klare Botschaft aus, und umgekehrt beurteilen wir die Haltung des anderen ebenfalls nach dem, was er auf dem Teller hat.“ (Vgl. Christine Schäfer im Interview der Zeitschrift Salz & Pfeffer, http://www.salz-pfeffer.ch/themen/im-gespraech/essen-ist-der-neue-pop; abgerufen am 07.08.2019.)

Zu dieser Entwicklung haben mehrere Faktoren geführt. So haben wir im Gegensatz zu vielen anderen Lebensbereichen bei unserer Ernährung die Möglichkeit, aktiv Einfluss zu nehmen – auf unsere Gesundheit, die Umwelt, die Lebensbedingungen von Produzenten und Tieren. Es steht uns frei zu entscheiden, wann, wo, wie und mit wem wir essen. Und weil wir diese Freiheiten haben und genießen, ist es uns auch wichtig, diese zu dokumentieren. Dementsprechend haben die sozialen Medien unsere Beziehung zum Essen revolutioniert. Kommt ein Gericht, wird erst fotografiert und dann geteilt. Die unüberschaubare Anzahl Essensbilder auf Instagram macht klar, welch bedeutende Rolle das Essen in der digitalen Kommunikation spielt. Essen wird zunehmend zum Identitätsstifter und löst dabei bereits z.B. die Musik ab, die lange Zeit als zentrale Ausdrucksmöglichkeit der eigenen Identität galt. Die eigene Ernährung wird immer stärker politisch, das Gewissen isst mit. Prominente Persönlichkeiten wie Michelle Obama sprechen öffentlich darüber und nutzen das Thema, um ihren politischen Standpunkt zu manifestieren.

Der Begriff Lebensmittel hat in der öffentlichen Kommunikation außerdem eine neue Definition bekommen, beeinflusst von der Medizin. Denn in der westlichen Wohlstandsgesellschaft hat die Häufigkeit von Herz-Kreislauf-Erkrankungen aufgrund einseitiger Ernährung rapide zugenommen. Die daraus resultierenden Krankenstandstage und Kosten für die Volkswirtschaft bzw. das öffentliche Gesundheitssystem rücken diesen Umstand immer stärker in den Fokus der öffentlichen Debatte. Viele Unternehmen haben die Problematik erkannt und versuchen, in den Mitarbeiterrestaurants eine gesundheitsfördernde Ernährung zu unterstützen. Gesundheit bedeutet heute nämlich nicht nur, keine Krankheit zu haben, sondern Wohlbefinden und Leistungsfähigkeit aktiv zu fördern. Und Gesundheit ist von vielen Faktoren abhängig – schon junge Konsumenten wissen heute, dass einer davon das Essen ist. Mithilfe der richtigen Ernährung bastelt der moderne Mensch an der besten Version seiner selbst. „Digestive Wellness“ lautet das Zauberwort.

Spannend in diesem Zusammenhang ist auch das Aufkommen von Nahrung mit Zusatznutzen, des gehypten Functional Food. Alltägliche Beispiele dafür, die schon jetzt aus keinem Supermarkt mehr wegzudenken sind, sind probiotischer Joghurt oder Brot mit Omega-3-Fettsäuren. Neue Trends sind auf Pflanzen basierende Lebensmittel als Alternative zu tierischen Proteinquellen sowie Free-from-Produkte, also auf Nahrungsmittelunverträglichkeiten abgestimmte Lebensmittel. Hanni Rützler dazu in ihrem Food Report 2020: „Food-Trends zeigen Lebensgefühle und Sehnsüchte auf, bieten Orientierung und Lösungsversuche für aktuelle Problemstellungen. Getragen werden sie immer von Menschen. Geprägt aber werden sie von den tiefgreifenden, globalen und langfristig wirksamen Veränderungen der Megatrends. Food-Trends können deshalb als ‚Barometer‘ fungieren: An ihnen lassen sich Entwicklungen ablesen, die sich tiefer in die Gesellschaft ausbreiten.“ (Vgl. Hanni Rützler, Food Report 2020, Zukunftsinstitut Frankfurt.) In ihrem Foodreport 2019 widmet Rützler der Gemeinschaftsverpflegung ein ganzes Kapitel und berichtet darüber, wie der Einfluss der verschiedenen Trends rund um die Ernährung und der globalen Mega-Trends auch in den heimischen Betriebsrestaurants immer spürbarer wird. Angesichts dieser die Gesellschaft grundlegend beeinflussenden und verändernden Entwicklungen bleibt Unternehmen gar keine andere Wahl, als sich mit dem Themenfeld Ernährung am Arbeitsplatz auseinanderzusetzen.

Denn ein auf die veränderten Wünsche und Bedürfnisse abgestimmtes Angebot ist bei der Bewertung der Attraktivität von Arbeitgebern bereits zu einem Differenzierungsmerkmal geworden. Das bedeutet aber nicht, dass zwangsläufig ein Mitarbeiterrestaurant mit eigener Küche vor Ort vorhanden sein muss. Die neuen Ansätze für die Verbindung von Raum und Gastronomie ermöglichen es z.B. auch Unternehmen mit einer kleineren Belegschaft, ein attraktives Angebot zu schaffen.

 

 

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